Zusammenfassung der Handlungsempfehlungen

Ergebnisse der Kulturkonferenzen Zukunft.KULTUR.NRW I + II im Jahr 2021

In einer Zeit großer gesellschaftlicher Herausforderungen stehen auch die Infrastruktur des Kulturlebens, die Kultureinrichtungen und die Organisationen der Kulturschaffenden vor Prozessen grundsätzlicher Wandlungen. Diese sollten von der Kulturpolitik des Landes NRW und von der Landesregierung begleitet, gefördert und teils auch angeregt werden. Der Kulturrat NRW unterbreitet der Landesregierung und der Landeskulturpolitik eine Reihe von Vorschlägen. Sie sind das Ergebnis zweier digitaler Tagungen mit insgesamt ca. 700 Teilnehmer:innen vom 5. Mai und vom 1. Dezember 2021. Referent*innen und Arbeitsgruppen haben zu den Themen der Tagungen Maßnahmen konzipiert und Forderungen formuliert. Diese sind vollständig unter dem jeweiligen Thema auf dieser Website zu finden und als Downloads bereitgestellt.

Für die Finanzierung all dieser Maßnahmen muss der Kulturhaushalt des Landes Nordrhein-Westfalen weiter ausgebaut werden. Im Laufe der Legislaturperiode 2022-2027 sollte er von 300 auf 600 Mill. Euro jährlich gesteigert werden. Einen Rahmen dafür bietet auch das Kulturgesetzbuch für NRW. Es muss von der nächsten Regierung beim Wort genommen werden und als Grundlage für viele der Forderungen wieder auf den Tisch kommen.

Die wichtigsten Forderungen an die Kulturpolitik des Landes sind unter folgenden Themenfeldern zusammengefasst:

  • Die Entwicklung von urbanen Kunstformen ist in den Nischen des Kulturlebens kaum ohne Unterstützung der Kommunen möglich. Die Kulturpolitik des Landes muss die Kulturämter in die Planungen einbeziehen und in ihrer operativen Arbeit unterstützen.
  • Die Kommunen können künftig wohl nicht mehr 80 % der öffentlichen Kulturausgaben in NRW tätigen, auch nicht unter Einrechnung der Mittel aus dem Gemeindefinanzierungsgesetz. Sie müssen von Bund und Land stärker unterstützt werden.
  • Notwendig sind Investitionen der Landeskulturpolitik in offene, längerfristige Prozesse: Mit Tendenz zum längeren und überjährigen Prozess statt zum kurzfristigen Projekt gilt es die Fördersysteme zu dynamisieren, lang- und überjährige Förderung zu ermöglichen und dabei interdisziplinäre bzw. ressortübergreifende Ansätze vorzusehen, nicht zuletzt um von Förderprogrammen anderer Sektoren (z.B. Wirtschaft) profitieren zu können.
  • Die Kulturpolitik des Landes sollte eine Infrastrukturförderung entwickeln für sowohl auf längere Dauer ausgerichtete als auch für pop-up-Kulturstätten; zu berücksichtigen sind Leerstände in den Innenstädten.
  • Die Förderung der „Dritten Orte“ sollte konzeptionell angepasst und auf den städtischen Raum ausgeweitet werden; Aus- und Weiterbildung kann angedockt werden.
  • Das Land sollte Reallabore entwickeln und mit Ressourcen ausstatten, um Experimentierräume für neue Modelle und Best Practice-Beispiele zu schaffen.
  • Erforderlich ist eine dezentrale Stadtteilkultur-Begleitung durch einzurichtende Büros, auch hier können Leerstände genutzt werden.
  • Das Land NRW sollte finanzielle Voraussetzungen schaffen für „Verwaltungslots:innen“ als personelle Begleitung für Antragsteller:innen.
  • Strukturen „in der Fläche“ sollten durch den Aus- bzw. Aufbau von Netzwerkknotenpunkten gestärkt werden: Es müssen Personen eingesetzt werden, die sich um aufsuchende Kulturarbeit und Vernetzung in den ländlichen Regionen NRWs kümmern. Dabei soll an gute bestehende Strukturen angeknüpft werden.
  • Es sollten Kultur-Regionalfonds eingerichtet werden, die auf unbürokratischem Wege die Förderung von Kleinstprojekten im Kulturbereich ermöglichen.
  • Wenn im Zuge der Ehrenamtsstrategie NRW Kompetenzzentren etabliert werden, sollte der Kulturbereich eingebunden sein. Förderverfahren und -zugänge für bürgerschaftlich Engagierte müssen auf allen Ebenen vereinfacht werden. Um bürgerschaftliches Engagement zu stärken, muss für den Erhalt hauptamtlicher Strukturen gesorgt werden.
  • Ergänzend zu Projekt- und institutioneller Förderung sollte die Prozessförderung ausgebaut werden. Förderstrukturen müssen transparenter vermittelt, -programme sinnvoll miteinander verzahnt werden. Bei allen Entwicklungsthemen müssen ländlich geprägte Räume strategisch mitgedacht werden. Das Land muss Impulsgeber sein, den Kulturbereich in bestehenden Strukturförderprogrammen für den ländlich geprägten Raum, insb. LEADER, als wichtiges zu förderndes Inhaltsfeld hervorzuheben. Daneben sollten auch die vorhandenen LEADER-Strukturen einbezogen und mit denen der Regionalen Kulturpolitik verknüpft werden.
  • Es braucht spezifische, vom Land geförderte Kompetenzentwicklungsprogramme für Führungskräfte im Kulturbereich.
  • Transformations-/Innovationsmanager*innen sollten in die Kulturinstitutionen ziehen: Neue Förder-Mechanismen in allen Sparten, die sich speziell an neue Akteure*innen (mit Inter- oder transdisziplinärer Grundhaltung) richten, müssen entwickelt werden.
  • Die Kulturpolitik des Landes sollte Beratungsstrukturen ermöglichen, die Kulturinstitutionen zur Beantragung von Fördermitteln (z.B. ESF-Mittel, „unternehmensWert:Mensch“) ansprechen und zu Themen wie Personalführung beraten.
  • Die Landesregierung sollte die Regionalen Kulturbüros zu Innovation/Transformation-Hubs weiterentwickeln.
  • Kulturelle Arbeit ist Arbeit. Sie ist als solche angemessen zu vergüten. Das Kulturgesetzbuch NRW hat einen Ansatz für Mindesthonorare geschaffen. Er muss konsequent weiterentwickelt werden.
  • Wichtiges Bezugssystem für die Einkommenssituation von Kreativen und Kulturarbeitenden ist das Urheberrecht. Es muss aus der Perspektive der Kreativen verteidigt und gestärkt werden.
  • Die Absicherung der Soloselbständigen ist generell unzureichend und muss systemisch verbessert werden. Dies ist, wie eingangs ausgeführt, ein Bundesthema. Doch auch das Kulturgesetzbuch für NRW muss für die Absicherung von Künstlerinnen und Künstlern Ziele und Wege zu deren Erreichung formulieren.
  • Die bewährten Stipendienprogramme aus der Corona-Krise sollten zu einer systematischen Graduiertenförderung im Bereich von Kunst und Kultur weiterentwickelt werden.
  • Fragen der Kulturförderung sollten generell von der Perspektive der Künstlerinnen und Künstler ausgehen, aber unbedingt auch Vermittlungsformen einbeziehen.
  • Akteur*innen der Freien Szene wollen an (kultur-)politischen Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse mitwirken, es fehlt jedoch an Zeit und an Finanzmitteln. Die Unterstützung der Beteiligung in Form von Honoraren und Fahrtkosten schafft Möglichkeiten der Beteiligung.
  • Die Vernetzung der kommunalen oder der Landes-Kulturszene, die Transparenz über Förderungen und kulturpolitische sowie stadtentwicklungsorientierte Perspektiven sollten in gemeinsamen regelmäßigen Diskussionsprozessen auf Augenhöhe ausgehandelt und festgehalten werden.
  • Künstler*innen brauchen – unabhängig von festen Einrichtungen – „Spielräume“, also Produktions- und Aufführungsstätten, auf die sie für Projekte zugreifen können (Räume, Technik, Verwaltung, Marketing)
  • Ein „Mapping“ bespielbarer oder kooperationswilliger Orte, die Auflistung der Rahmenbedingung für die Nutzung und die Möglichkeiten von personeller oder technischer Unterstützung. Bsp: http://www.materialverwaltung-ontour.de
  • Kultureinrichtungen, die institutionell gefördert werden, müssen – auch wirtschaftlichen – Logiken folgen, die nicht immer allen Partner*innen bekannt sind. Es braucht mehr Offenheit/Transparenz über den kommunalen oder Landes-Auftrag oder über selbst gesetzte Ziele
  • Übergeordnete / dezentrale Kompetenzzentren für große gesellschaftliche Aufgaben wie Digitalität/Diversität helfen orientieren, sind Ansprechpartner*innen in diesen Aufgaben und begleiten Einrichtungen bei wichtigen Entwicklungsprozessen.
Förderinstrumente mit Langzeitwirkung bereitstellen:
  • Die Kulturpolitik des Landes sollte mehrjährige strukturelle kommunale/Landes-Förderung in Form bspw. von Personal-, Programm- und Betriebskostenzuschüsse ermöglichen. Das entbindet die Kultureinrichtungen der freien Szene von zu starken wirtschaftlichen Zwängen zugunsten von Kreativität.
  • Vorarbeiten/künstlerische Konzeption sollten mitfinanziert werden. Das kann bei aufwändigen Vorhaben durch gesonderte Programme geschehen oder durch die Ergänzung dieser Bausteine in den Projektförderungen.
  • Auch Leistungen, die über die kreativ-künstlerische Arbeit hinausgehen – wie z.B. Kommunikations-/Koordinationsleistungen = Vernetzung in Projekten sollten mitfinanziert werden (bei Künstler*innen wie Einrichtungen)
  • Alternativen zur gezwungenen Mischfinanzierung durch verschiedene Förderer mit unterschiedlichen Anforderungen und Bedingungen an die Antragsstellung
  • Change-Prozesse werden spartenunabhängig gefördert (Generationenwechsel, Diversität, Digitalität, Profiländerung, feste Kooperationen)
  • Die Gemeinsame Mittelvergabe ist ein Instrument zur Vergabe von Fördermitteln durch die Antragstellenden selbst. http://wemgehoertdiekunst.de/
  • Bund, Land und Kommunen sollten den Wissenstransfer zur digitalen Transformation im Kulturbereich zwischen Gemeinden und Städten, zwischen Institutionen, Organisationen und Hochschulen national und international intensivieren.
  • Die Kulturpolitik des Landes sollte Förderprogramme entwickeln:
  • für die digitale Transformation einzelner Kultur- und Bildungseinrichtungen in Land und Städten,
  • für die Beratung in technischen und in Anwendungsthemen,
  • für die Entwicklung innovativer, interoperabler und effizienter Plattformtechnologien sowie eines gemeinsamen Datenstandards im Kulturbereich (z.B. „Datenraum Kultur“),
  • für Produktionsorte der Künstler*innen und der Kreativen,
  • für die Präsentation und Vermittlung digitaler Kulturproduktionen,
  • für Diskurs-, Austausch- und Mentoringprojekte.
  • Die Kulturpolitik des Landes sollte dafür Sorge tragen, dass wie in einem „digitalen Bauhaus“ Bildungsmodule für Heranwachsende und Erwachsene, Schulungen für Profis, Kreative und Künstler*innen medienpädagogische Konzepte und eine umfassende Rezeptionsschulung für digitale Kunstproduktionen angeboten werden.
  • Die Kulturpolitik des Landes sollte Verhaltens- und Rechtssicherheit für den Umgang mit digitalen Kunst- und Kulturproduktionen herstellen. Das erstreckt sich auf Fragen von Arbeitsbedingungen, Leistungs- und Urheberrechten – auch im Hinblick auf Open source- und Open Data-Lizenzen. Zu prüfen ist, welche Beratungsleistungen dafür von Verbänden der Künstler*innen und Kreativen selbst (in NRW vom Medienwerk, vom Filmbüro NW, von mediamusic e.V.) oder von den Kultursekretariaten etc. erbracht werden können.
  • Die Kulturpolitik des Landes sollte biennal eine internationale Konferenz zu Kunst und Kultur in der digitalen Gesellschaft ausrichten, in der facettenreich die digitale Transformation erörtert wird.
  • Die Vielfalt der Gesellschaft muss sich in Programm, Personal, Publikum und niederschwelligen Zugängen zu allen Kultureinrichtungen und auch zu Organisationsformen der freien Szene widerspiegeln.
  • Die Prozesse der Diversitäts-Erarbeitung in den Kommunen, den Kultureinrichtungen und den -initiativen sind für das Gelingen entscheidend. Die Leitung der Einrichtungen muss sie vorleben. Alle Mitarbeitenden sind aufgefordert, sich in ihrem Handeln nach den entsprechenden ethischen und demokratischen Grundlagen zu verhalten.
  • Notwendig ist die Bildung einer Netzwerkstelle bzw. Servicestelle oder Förder- und Beratungsstelle Diversität, um eine Kulturentwicklung auszugestalten, die der diversen Zusammensetzung der Gesellschaft entspricht.
  • Die Servicestelle sollte finanziell in der Lage sein, Förderprogramme zu entwickeln und durchzuführen. In der Servicestelle sollten hauptamtliche Kräfte dauerhaft beschäftigt werden. Diese koordinieren und greifen auf einen Beirat oder Pool von Expert:innen zu. Sie bieten Fort- und Weiterbildung an. Sie suchen auch Kultureinrichtungen und Künstler:innenszenen auf. Sie leiten diese an, ihr Verständnis von Arbeit und Diversität selbst zu erarbeiten und eine Agenda zu entwickeln.